Emotionales Essen
- Sybille Tremel
- vor 3 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 17 Stunden
Emotionales Essen: Wenn Gefühle unser Essverhalten beeinflussen
Viele Patientinnen kommen zu mir in die Praxis mit den Worten: „Mach das weg, ich will diese Heißhungerattacken nicht mehr haben!“ Ich kann das gut verstehen. In den Momenten einer Heißhungerattacke scheint der Verstand und die Kontrolle oft vollständig außer Kraft gesetzt zu sein. Langfristig kann emotionales Essen sogar zu gesundheitlichen Problemen
wie Übergewicht oder Adipositas führen.
Dieses „Einfach wegmachen“ ist ein komplexer Prozess, der auf Verstehen und bewusster Veränderung basiert. Es ist kein Knopfdruck, sondern eine Reise, bei der es wichtig ist, sich selbst und die eigenen Verhaltensmuster besser kennenzulernen und zu verstehen.
Emotionales Essen betrifft viele Menschen
Eine offizielle Studie über das emotionale Essen gibt es bislang nicht. Schätzungen der Krankenkassen gehen jedoch davon aus, dass mindestens 35% der Menschen in Deutschland von emotionalem Essen betroffen sind. Wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch viel höher.
Was ist emotionales Essen?
Emotionen sind ein natürlicher Bestandteil unseres Lebens. Sie beeinflussen, wie wir Entscheidungen treffen, wie wir uns fühlen und auch, wie und was wir essen.
Emotionales Essen beschreibt ein Phänomen, bei dem man nicht primär hungrig bist, sondern aus emotionalen Gründen zum Essen greifst. Das passiert oft bei Gefühlen wie Stress, Langeweile, Traurigkeit, Einsamkeit oder Frustration. In solchen Momenten kompensieren wir diese Gefühle häufig mit fettigem, hochkalorischem Essen.

Woran kannst Du emotionales Essen erkennen?
Hier sind 5 Hinweise:
1. Auslöser durch Stress und Druck:
Du greifst auf Kohlenhydrate und Zucker zurück, wenn du Druck oder Stress verspürst, anstatt diese bewusst wahrzunehmen.
** Beispiel: Du hetzt von einem Meeting ins nächste, der Terminkalender und die To-Do liste ist voll. Um diesem Druck besser Standhalten zu können greifst du zu Schokolade oder Gummibärchen, anstatt Dich mit den Ursachen, nämlich dem Stress und Druck und dem Wunsch nach Ruhe und Entspannung
auseinanderzusetzen.
2. Verbindung zu bestimmten Lebensmitteln:
In Momenten von Sehnsucht oder Einsamkeit greifst Du gern zu „Komfortnahrungsmitteln“ wie Süßigkeiten, Kuchen, Chips oder fettigen Snacks. Du kennst diese Gefühle und du weißt, dass das Essen Dir kurzfristig Trost spenden.
** Beispiel: Du sitzt Abends vor dem Fernseher und eine Szene aus dem Film lässt dich einsam und alleine fühlen. Du kennst das Gefühl sehr gut und Du du machst das was Du immer in solchen Situationen machst: Du holst
das Stück Torte aus dem Kühlschrank um Dich zu trösten.
3. Mangel an emotionaler Regulation:
Es fällt Dir schwer, Deine Gefühle zu erkennen, zu akzeptieren oder angemessen damit umzugehen. Das kann dazu führen, dass Du im Essen eine Bewältigungsstrategie suchst.
** Beispiel: Bei Angst oder Unsicherheit greifst du zu Fastfood, weil Du keinen anderen Ausweg siehst und Dir dieses Essen in diesem Moment eine Art Halt und Sicherheit gibt.
4. Gewohnheiten und Muster:
Bestimmte Essgewohnheiten sind zu Ritualen geworden, die du unbewusst wiederholst.
** Beispiel: Das Stück Kuchen zum Nachmittagskaffee oder der süße Nachtisch – vielleicht hast du dieses Ritual schon in deiner Kindheit gelernt und nie hinterfragt.
5. Kurzfristige Linderung, langfristige Folgen:
Obwohl emotionales Essen kurzfristig Erleichterung bringt, kann es auf Dauer dein seelisches Wohlbefinden beeinträchtigen.
** Beispiel: Viele meiner Patienten berichten von Schuldgefühlen nach einem Essanfall, die wiederum das Verlangen nach Essen verstärken.
Warum hat emotionales Essen nichts mit mangelnder Willenskraft zu tun?
Kennst Du den Gedanken: „Wenn ich nur stark genug wäre, dann könnte ich das einfach ändern!”? Wenn das einer Deiner Überzeugungen ist, dann bist Du nicht alleine. Viele Menschen glauben, dass sie nur „willensstark“ sein müssten, um ihr Essverhalten zu ändern. Doch das ist ein Irrtum. Emotionales Essen ist kein Zeichen von Schwäche oder mangelnder Disziplin. Es sind vielmehr tief verwurzelte Muster, die oft schon in der Kindheit entstanden sind und im Unterbewusstsein tief verankert sind.
Wiederholte Verhaltensweisen
Diese Essmuster entstehen durch wiederholte Verhaltensweisen, die uns kurzfristig Trost oder Sicherheit geben.
Vielleicht hast Du in Deiner Kindheit gelernt, dass Süßigkeiten eine Belohnung sind oder dass sie Trost spenden, wenn Du Dich traurig fühlst. Solche Verhaltensweisen werden im Laufe der Zeit zu automatischen Reaktionen, die wir kaum noch bewusst steuern können.
Deine Willenskraft - so stark und so schwach wie ein Muskel
Wenn wir versuchen, diese Essmuster nur mit Willenskraft zu überwinden, ist das meist zum Scheitern verurteilt. Denn Willenskraft ist wie die Muskelkraft: Sie ist nur begrenzt Leistungsfähig und ermüdet mit der Zeit. Du kannst Dir früh morgens vornehmen, heute mal nichts zu naschen, spätestens am Abend ist dieser Vorsatz ermüdet und Du greifst zur Schokolade.
Wenn Du Dich nur auf Deine Willenskraft verlässt, um dem emotionalen Essen zu widerstehen, wirst Du irgendwann schwach – vor allem in Momenten, in denen Du emotional belastet bist.
Wenn Du mehr über die Willenskraft erfahren möchtest, empfehle ich Dir den Blogbeitrag "Die Willenskraft – eine unendliche Kraft?"
Wege aus dem Kreislauf des emotionalen Essens
Vielleicht fragst Du Dich jetzt: „Was kann ich tun, um aus diesem Kreislauf auszusteigen?“ Hier einige Anregungen, die Dir eine Orientierung bieten können:
Zugrunde liegende Emotionen erkennen:
Reflektiere: Welche Gefühle tauchen bei Dir häufig auf? Welche Emotionen belasten Dich besonders?
Eigene Muster verstehen:
Beobachte dich selbst und notiere, welche Gefühle zu welchem Essverhalten führen. Ein Tagebuch kann Dir dabei helfen, Deine Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen besser zu erkennen.
Mögliche Bewältigungsstrategien entwickeln:
Um aus dem Kreislauf des emotionalen Essens auszusteigen, braucht es alternative Wege, um mit den Emotionen umzugehen. Es geht darum, Verhaltensweisen zu finden, die Dir ermöglichen, Deine Gefühle zuzulassen und zu verarbeiten, ohne gleich zum Essen zu greifen.

Langfristig aussteigen – ohne nur auf Willenskraft zu setzen
Mit diesen Strategien kannst Du langfristig aus dem Kreislauf aussteigen, ohne Dich nur auf Deine Willenskraft verlassen zu müssen. Weil dieses Thema so viele Menschen betrifft, habe ich einen Selbstlernkurs zum Thema emotionales Essen entwickelt. In diesem Kurs geht es genau darum, individuelle Strategien zu finden, um das emotionale Essverhalten zu verändern. Wenn du Interesse hast, empfehle ich dir den Onlinekurs "emotionales Essen":
Emotionales Essen: Abgrenzung zur Binge-Eating-Störung
Die Binge-Eating-Störung, geht auch mit viel Essen einher, ist aber eine ernsthafte Essstörung, die sich deutlich vom emotionalen Essen unterscheidet.
Bei einer Binge-Eating-Störung treten wiederholte Fressattacken auf, die mindestens an zwei Tagen pro Woche über einen Zeitraum von sechs Monaten vorkommen. Dabei wird innerhalb kürzester Zeit eine unglaublich große Menge an Nahrung aufgenommen – oft mehr, als die meisten Menschen in einer vergleichbaren Zeitspanne und unter ähnlichen Umständen essen würden.
Personen, die an einer Binge-Eating-Störung leiden, konsumieren diese großen Mengen an Nahrungsmitteln häufig alleine und im Verborgenen, weil ihnen das schnelle und ausgedehnte Essen in Gesellschaft sehr peinlich ist.
Diese Störung ist eine schwere und ernstzunehmende psychische Erkrankung, die unbedingt professionell behandelt werden sollte.
Wenn du mehr über das Thema Essstörungen erfahren möchtest, kann ich Dir die Homepage des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit empfehlen:
Kurz zusammengefast:
Emotionales Essen ist ein Kompensieren von ungewollten negativen Gefühlen.
Es ist möglich, dieses Verhalten durch Verstehen und das Anwenden neuer Bewältigungsstrategien zu verändern.
Während emotionales Essen eine Reaktion auf Gefühle ist, handelt es sich bei Binge-Eating um eine krankhafte
Essstörung, die in die Behandlung durch Ärztinnen und Ärzte gehört!
Ich lade dich ein, neugierig zu sein:
Welchen Umgang findest Du in Deinem Alltag mit Deinen Emotionen? Ist es auch der Schokoriegel am Nachmittag oder die Chips am Abend? Ab und zu ist es völlig in Ordnung, sich eine kleine Nascherei zu gönnen. Problematisch wird es nur, wenn dieses Verhalten zur täglichen Routine wird und dadurch gesundheitlich Probleme wie Übergewicht oder Adipositas verursachen kann.
Denn: Gefühle wollen gefühlt werden. Durch das Unterdrücken oder Kompensieren werden sie nicht kleiner, sondern lauter!
Über die Autorin:
Sybille Tremel ist Heilpraktikerin mit eigener Praxis seit 2018, und ihr Herz schlägt für die Psychosomatik – das feine Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele.
In ihrer täglichen Arbeit widmet sie sich sowohl akuten körperlichen Beschwerden als auch seelischen und psychischen Belastungen. Dabei verfolget sie stets einen ursachenorientierten Ansatz.
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